Software für Videospiele und Kriegstraining
Die Kooperation von „Crytek“ mit der Rüstungsindustrie
Im Februar 2017 hat die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK) eine Kampagne gestartet, die sich mit den Verbindungen des deutschen Videospiel-Herstellers „Crytek“ und der Rüstungsindustrie befasst. Im April trat die Kampagne erstmals öffentlich auf. Dieser Text liefert den – ausführlich mit Quellen belegten – Hintergrund zur „Crytek“-Kampagne der DFG-VK.
Ein lautes Dröhnen. Granaten fliegen. Und explodieren. Es ist das Jahr 2047 und es ist gefährlich, sich in New York zu bewegen. Ein automatisches Geschütz hängt unter der Glaskuppel, die die Stadt umschließt, und feuert auf alles, das sich bewegt. Kontrolliert wird die Waffe von der Privatarmee eines mächtigen Unternehmens. Dieses hat nach dem Ausbruch eines tödlichen Virus und einer Alien-Invasion die Menschheit unterjocht. Nur ein Mann kann die Menschheit retten: Ein Soldat, der durch einen speziellen Anzug – dem so genannten „Nanosuit“ – Superkräfte hat, sich unsichtbar machen und auch schweren Beschuss sowie Explosionen widerstehen kann. So ist zumindest die fiktive Geschichte im Videospiel CRYSIS 3.
Der 2013 veröffentlichte First-Person-Shooter wurde vom Frankfurter-Unternehmen „Crytek“ entwickelt und bisher über zwei Millionen-Mal verkauft.[1] Vom Anfang 2011 erschienenen Spiel CRYSIS 2, in dem New York Ziel der Alien-Invasion wird, konnten sogar über 3 Millionen Exemplare abgesetzt werden.[2] Damit gehört „Crytek“ zu den wenigen deutschen Videospiel-Herstellern, die weltweiten Erfolg vorweisen können. Das Unternehmen wurde 1999 von den drei Brüdern Faruk, Avni und Cevat Yerli im bayerischen Coburg gegründet, der heutige Firmensitz ist Frankfurt am Main. Dort beschäftigt „Crytek“ nach einer Krise in den Vorjahren heute etwa 390 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weitere 160 sollen es in einem Studio in der ukrainischen Hauptstadt Kiew sein.[3] Zuletzt machte das Unternehmen mit dem Virtual-Reality-Adventure-Spiel ROBINSON: THE JOURNEY von sich reden.[4]
Die „CryEngine“-Software
Ein Grund für die Verkaufserfolge der „Crytek“-Spiele ist die von der Fachwelt viel gelobte Software, mit dem die Spiele erstellt wurden – die so genannten „CryEngine“. Eine „Engine“ ist ein Baukasten, mit dem virtuelle Welten erschaffen werden können. Sie besteht etwa aus Grafik- und Sound-Vorlagen sowie einer Physik. Auf der Website von „Crytek“ heißt es zur „CryEngine“:
„Die CRYENGINE ist die führende All-in-One-Lösung für die Entwicklung von Spielen mit skalierbarer Rechen- und Benchmark-Grafiktechnologien für Konsolen, den PC und mobile Geräte. Durch die Wahl der CRYENGINE können Entwickler sicher sein, dass sie für die Zukunft des Videospiels bereit sind und herausragende Erlebnisse für PlayStation®4, Xbox one ™, Wii U ™, Windows, Linux, iOS und Android erstellen können.
Die CRYENGINE ist die einzige Spiel-Engine mit mehrfach preisgekrönter Grafik, State-of-the-Art Beleuchtung, realistischer Physik, intuitivem visuellen Scripting, HiFi-Audio, Designer-freundlicher AI [künstliche Intelligenz, d.A.], einer effizienten 3D stereoskopischen Lösung für alle Plattformen und vielem mehr – alles mit nur einem Programm.“[5]
Im Dezember 2011 wurde „Crytek“ für seine „CryEngine“ der „Deutsche Entwicklerpreis 2011“ in der Kategorie „Gamestechnologie“ verliehen – der Preis wurde vom Landesmedienministerium und der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen vergeben.[6] Das ausgezeichnete „CryEngine“ Videospiel-Grundgerüst reicht nah an die Realität heran und wird laufend weiterentwickelt – besonders die „CryEngine 3“ ist sehr weit entwickelt.
Die „Meggitt“- und „Lockheed Martin“-Kundschaft
Die Software ist so beeindruckend, dass sie nicht nur von anderen Spiele-Herstellern zur Programmierung eigener Spiele genutzt wird, sondern mittlerweile auch Rüstungshersteller zum festen „Crytek“-Kundenstamm gehören.[7] Sie können Lizenzen der „CryEngine“ erwerben – und tun dies auch. Viele Rüstungsunternehmen verwenden in ihren Trainingssimulatoren die „Crytek“-Software, beispielsweise der US-Simulator-Hersteller „Cubic“ und das britische Technik-Unternehmen „Meggitt“. 2014 präsentierte letzteres Unternehmen seinen „CryEngine“-Simulator auf der ITEC, der weltgrößten Messe für Militärsimulatoren in Köln. Larry Raines, der Vize-Präsident für „Virtual Systems“ bei „Meggitt“ erklärte damals in den Kölner Messehallen, warum und wie das Unternehmen die Software aus Frankfurt zum Training von Infanteristen nutzt:
„Crytek gibt uns die Möglichkeit, die Welt detailliert virtuell nachzubilden. Durch den Zugriff auf den Quellcode der CryEngine konnten wir sie so modifizieren, dass wir den Soldaten beim Training Feedback geben können. Wir haben realitätsgetreue Waffen, eine realistische Ballistik und können aus den Soldaten damit bessere Schützen machen. Wir benutzen die CryEngine als Software-Basis außerdem zum Gruppentraining für ‚Platoons‘ oder ‚Squads‘ und zum Koordinationstraining, da die Software eine beeindruckende visuelle Darstellung bietet. Die CryEngine ist wirklich ein sehr einfach zu bedienendes ‚Sandbox-Tool‘ um Szenarien zu entwerfen und ein dynamisches Training für die Soldaten zu ermöglichen.“[8]
So wird etwa im „Firearms Training System 100“ (kurz „FATS 100e“) die „Crytek“-Software verwendet.[9] Die Simulatoren der FATS-Reihe bestehen aus einem mobilen, etwa hüfthohen Würfel, der sowohl die Hardware (2D/3D-Beamer, Treffer-Kamera, Computer-Elemente) als auch die Software (neben der „CryEngine“ können noch andere Engines verwendet werden) beinhaltet.[10] Lediglich eine Leinwand und spezielle, ebenfalls von „Meggitt“ angebotene Übungswaffen sind noch nötig, um überall in kürzester Zeit einen Trainingsstand aufzubauen. Zu den Simulator-Kunden des britischen Unternehmens gehören unter anderem die US-Army und das „United States Marine Corps“.[11]
Auch der große US-Rüstungskonzern „Lockheed Martin“ und der Simulator-Hersteller „Intelligent Decisions“ gehören zu „Cryteks“ Kundenstamm.[12] „Intelligent Decisions“ hat die US-Armee seit 2011 mit 102 mobilen Infanterie-Simulatoren ausgestattet. Die Schlachtfelder im „Dismounted Soldier“ genannten Trainingssimulator werden mithilfe der „CryEngine“ vom Unternehmen „Real Time Immersive“ (bis 2015 ein direktes Tochterunternehmen von „Crytek“[13]) entworfen. Das Projekt hat ein Budget von 57 Millionen US-Dollar und soll Kampfeinsätze mithilfe von Virtual-Reality-Helmen besonders realistisch machen.[14] Dabei rühmt sich „Real Time Immersive“ auf seiner Website, mithilfe der Engine aus Deutschland etwa den Betrieb eines Atomkraftwerks simulieren zu können, was bei Beachtung des lange anhaltenden sicherheitspolitischen Streits der USA – dem Konflikt zwischen dem Land und dem Iran um das iranische Atomprogramm – besondere Brisanz birgt.[15] So könnten US-Soldaten mithilfe der „CryEngine“ für einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen trainiert werden.
Der „ViSTIS“-Simulator von „ThyssenKrupp Marine Systems“
Auch der deutsche Kriegsschiffbauer „ThyssenKrupp Marine Systems“ nutzt die „CryEngine“. Die „ThyssenKrupp“-Tochterfirma „Blohm + Voss“ entwickelt mit der Software das so genannte „Virtual Ship Training and Information System“ (ViSTIS), ein Simulator zum Training von Schiffsbesatzungen: „In der virtuellen Simulationsumgebung lassen sich sowohl Routineaufgaben als auch Not- und Gefechtssituationen realistisch ausbilden, ohne Mensch oder Material zu gefährden“, heißt es in einer Konzernbroschüre.[16] Zudem könnten durch den Einsatz des Simulators Kosten gespart werden – bei gleichzeitig hoher Qualität der Ausbildung: „Der hohe Realitätsgrad basiert auf einer realistischen Echtzeitvisualisierung mit Hilfe der CryEngine 3, einer der weltweit führenden ‚Game Engines‘ des Computerspiele-Herstellers Crytek.“[17] Johannes Schlenger, Systemingenieur für den ViSTIS-Simulator erklärte auf der ITEC 2014, warum „ThyssenKrupp“ sich für die Software aus Frankfurt entschieden hat:
„Also überzeugt hat uns bei der ‚CryEngine‘ vor allem die visuelle Qualität und deswegen verwenden wir sie hauptsächlich bzw. eigentlich nur. Es ist halt so, dass sich der Kunde natürlich auch ein bisschen mit seinem Produkt identifizieren soll und da ist die visuelle Qualität natürlich sehr wichtig. Außerdem ist es eine bewährte Game-Engine und bietet die ganzen Vorteile, die so eine Game-Engine mit sich bringt: die Tools sind ganz gut und das ist so der Hauptgrund, warum wir die CryEngine verwenden.“[18]
Man habe die Engine als „Full-Source Software Development Kit“ erworben, was einen tiefen Blick in den Quellcode ermögliche, um Fehler zu korrigieren und eigene Funktionen hinzuzufügen. Dabei gebe es von „Crytek“ aber Unterstützung: „Wir waren […] auch vor Ort und haben Training gemacht und haben uns einige Sachen zeigen lassen. Es gibt auch Online-Support […]“, so Schlenger.[19] Man habe mithilfe der Software Schiffe und Hubschrauber hinzugefügt und in Szenarien eingebunden. Hauptsächlich soll ViSTIS zum Training der Einweiser der Bord-Hubschrauber auf dem Flugdeck von Schiffen genutzt werden. Dazu wurde auch eine Bewegungssteuerung an das System gebunden: beim Training haben die Einweiser einen Anzug an, der ihre Bewegungen in die virtuelle Umgebung umsetzt. Gesehen wird mithilfe einer Virtual-Reality-Brille. „Thyssen Krupp“ wirbt beim ViSTIS ausdrücklich mit dem Argument, die „Kosten in der Ausbildung nachweislich zu reduzieren“.[20] Seit Anfang 2013 wird ViSTIS zur Ausbildung der Soldaten der U-Boot-Klasse 212A, zweite Los, bei der Bundeswehr genutzt.[21]
Der „SAGITTARIUS-Evolution“-Simulator von „Thales“
Die deutsche Armee nutzt die „CryEngine“ auch schon in anderen Simulatoren: der französische Rüstungskonzern „Thales“ hat mithilfe der „CryEngine 3“, die auch in CRYSIS 3 zum Einsatz kommt, einen neuen Schießsimulator für die deutsche Armee entwickelt.[22] Das unter der Bezeichnung „SAGITTARIUS-Evolution“ laufende Rüstungsprojekt versetzt die Armee u.a. in die Lage, mit einfachen Geo-Daten Trainingsszenarien mit unmittelbarem Einsatzbezug erstellen zu können. Dazu werden Satellitenbilder einer bestimmten Region – etwa aus Google Earth – mit Höhendaten und Informationen über die Vegetation gepaart und ergeben nach abschließender Detailarbeit ein realitätsnahes Bild der gewünschten Region. „Durch [die] Kooperation der Firma Thales mit der Firma Crytek wurde vor kurzem eine Softwarebasis geschaffen, die als Quantensprung betitelt werden kann“, schrieb ein Bundeswehr-Oberstabsfeldwebel, der Experte für Schießsimulatoren ist, 2011 begeistert in dem Wehrtechnik-Fachmagazin „Strategie & Technik“.[23] Auch „Thales“ berichtet in einer Pressemitteilung über den neuen Simulator und die Nutzung der „CryEngine“:
„Für eine videorealistische Darstellung kommt die CryENGINE3 aus dem Hause Crytek zum Einsatz, die in Verbindung mit dem integrierten 3D-Sound ein realistisches Ausbildungsszenario ermöglicht. Darüber hinaus ermöglicht ein integriertes Trainings-Management-System eine effiziente Nutzung des Systems und unterstützt die Ausbilder mit erweiterten und entlastenden Funktionalitäten in der Vor- und Nachbereitung der Übung. Die eingebundene künstliche Intelligenz der computergesteuerten eigenen, neutralen und gegnerischen Kräfte, erhöht den Ausbildungs- und Awareness-Effekt: Je nach Eigenverhalten des Nutzers kommt es zu sich verändernden Einsatzsituationen, realistisch dargestellte Umweltbedingungen (z. B. Gelände, Tageszeit, Windrichtung) beeinflussen den Übungsablauf und erfordern eine Anpassung des Nutzer Verhaltens und erhöhen damit die Realitätstiefe der Ausbildung deutlich.“[24]
Ein für das SAGITTARIUS-System zuständiger „Thales“-Mitarbeiter erläuterte im Frühjahr 2012, wie genau die Software zum Einsatz kommt: „Wir nutzen die Möglichkeiten der CryEngine soweit aus, dass wir die Grafik und Teile der Physik-Engine und der künstlichen Intelligenz nehmen und mit unserer eigenen Sagittarius-Software verändern.“[25] Veränderungen würden etwa bei der Ballistik – den Flugbahnen von Geschossen – vorgenommen und diese der Realität angepasst. Bei solchen Anpassungen arbeite man eng mit „Crytek“ zusammen: „Das Unternehmen hilft, wenn unsere Veränderungen sehr tief ins System gehen.“ Die Entwicklung soll aber bald abgeschlossen werden: „In diesem Jahr bekommt die Bundeswehr die ersten Systeme“, so der „Thales“-Mitarbeiter 2012. Laut einem Bericht des Bundeswehr-Radio-Senders „Radio Andernach“ wurde eine Basisversion des „SAGITTARIUS Evolution“ 2013 an der Infanterie-Schule in Hammelburg erprobt.[26]
Auf lange Sicht sollen 174 Bundeswehr-Schießsimulatoren AGSHP (Ausbildungsgerät Schießsimulator Handwaffen/Panzerabwehrhandwaffen) durch die „SAGITTARIUS Evolution“-Trainingssysteme ersetzt und sogar noch zehn zusätzliche angeschafft werden. Dabei muss aber nicht nur die neue Software überspielt werden, sondern es müssen auch umfangreiche Hardware-Änderungen vorgenommen werden. Das „SAGITTARIUS“-System benötigt große Projektoren, Projektionsflächen und muss mit der Waffensteuerung und der Steuerung für verschiedene Ventile – etwa für den Rückstoß bei der Schussabgabe – gekoppelt werden. Soldaten könnten laut „Thales“ in dem Simulator sogar Westen tragen, die feindliche Treffer am Körper durch Stöße anzeigen würden. Zudem könnten, so der bereits zitierte „Thales“-Mitarbeiter, Motion-Plattformen, die etwa unruhiges Fahrverhalten von Fahrzeugen simulieren, in das System integriert werden. Für so genannte kombinierte Szenarien sollen die Simulatoren auch untereinander vernetzt sein: „Sie haben ein Fahrzeug, etwa einen Bundeswehr-Geländewagen mit Fahrer, Beifahrer und MG-Schützen. Die Personen können zusammen in einem Raum sein, unser System ist aber auch modular. So können die Soldaten auch gemeinsam trainieren, wenn sie an verschiedenen Orten sind“, erklärt der „Thales“-Mann. Ein wichtiger Punkt bei militärischen Trainings sei die Auswertung, damit den einzelnen Soldaten gesagt werden könne, in welchen Bereichen sie noch Nachholbedarf haben und was sie noch trainieren müssen. Laut „Radio Andernach“ arbeitet das französische Rüstungsunternehmen zudem an einer Spracherkennungs-Software, damit die Soldaten ihren virtuellen Komparsen oder anderen computergesteuerten Figuren Anweisungen geben können. Egal, wo der nächste Auslandseinsatz ausgetragen wird, der neue Bundeswehr-Schießsimulator lässt sich einfach darauf programmieren. So nutzt auch die umstrittene Bundeswehr-Eliteeinheit „Kommando Spezialkräfte“ seit 2016 ein „SAGITTARIUS Evolution“-Trainingssystem für sein „Wirkmittel 90“, einen Raketenwerfer: „Die fristgerechte Auslieferung des mobilen Schießsimulators für das Wirkmittel 90mm ist für uns ein wichtiger Meilenstein in der rund vierjährigen Entwicklungszusammenarbeit mit den beteiligten Industrieunternehmen zur Einführung des neuen Waffensystems und zur Ausbildung an diesem System“, erläutert Bernhard Kemp, stellvertretender Projektleiter beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr dazu in einer „Thales“-Pressemitteilung.[27]
Bislang äußert sich lediglich „Thales“ umfassend zum neuen Bundeswehr-Trainingssimulator. Neben dem schon zitierten – nicht namentlich genannt werden wollenden – Mitarbeiter waren auch einige Entwickler des „SAGITTARIUS Evolution“ auf der Videospielmesse „gamescom“ im Jahr 2012 – gut erkennbar an Hemden mit dem Logo des Schießsimulators.[28] Nach kurzer Zurückhaltung berichteten sie über die Kooperation mit „Crytek“, deren Mitarbeiter bei Problemen mit der „CryEninge“ auch schon mal aus Frankfurt nach Koblenz zu Thales kämen, um direkt vor Ort zu helfen. „Crytek“ schweigt zur Kooperation mit „Thales“. Und auch die Bundeswehr hält sich sehr bedeckt: Bei einem Vortrag Mitte Januar 2012 über „Erfahrungen mit Crytek im Simulatorbau“ von Dr. Volker Isbert von „Thales“-Deutschland an der Universität der Bundeswehr in München waren Öffentlichkeit und Presse nicht zugelassen.[29]
Software für Spiele und Kriegstraining
Bei „Crytek“ verschwimmen die Grenzen zwischen der Tätigkeit als Hersteller von Videospielen zur Unterhaltung und dem als Hersteller einer Engine-Software, die man für Trainingszwecke an Rüstungsfirmen verkauft und diese auch bei der Entwicklung noch unterstützt. Welcher Bereich überwiegt, ist nicht bekannt, da der letzte öffentliche Geschäftsbericht der „Crytek GmbH“ über das Geschäftsjahr 2014 darüber keine genaue Auskunft liefert: Lediglich der Gesamtumsatz ging um 7,46 Prozent auf 69,4 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr zurück.[30] Von der militärischen Kundschaft ist in dem Bericht kein Wort zu finden und als „Kernbereiche“ des „Geschäftsmodells“ von „Crytek“ werden lediglich die drei Punkte der „Weiterentwicklung und Direktvermarktung der Spieleentwicklungsplattform ‚Cryengine‘“, der „Entwicklung von innovativen 3D-Videospielen für PC, Spielkonsolen und Virtual Reality für Online- und Retailvertrieb“ sowie der „Entwicklung und Vertrieb von Online- und Virtual Reality-Spielen (VR-Spielen)“ genannt – also drei Bereiche, die lediglich dem zivilen Spielemarkt zuzuordnen sind. So ist „Crytek“ auch ein Beispiel für die Verschwiegenheit der ganzen Videospiel-Branche, wenn es um die Kooperationen mit dem Militär oder Rüstungsunternehmen geht: Trotz zahlreicher Versuche reagierte das Unternehmen nicht auf Gesprächsanfragen. Auf der ITEC 2014 sowie auf anderen Messen ist „Crytek“ zudem nicht mit einem eigenen Stand vertreten und auf der offiziellen „CryEngine“-Website ist eine Liste der (militärischen) Nutzer der Software mittlerweile verschwunden. Eine Diskussion um seine Kundschaft und deren Unterstützung möchte das Frankfurter Unternehmen anscheinend nicht – eben weil das Feld, in das sich „Crytek“ mit dem Verkauf seiner Engine bewegt, höchst umstritten ist.
Der Software-Hersteller trägt mit dazu bei, dass Soldaten ausgebildet werden können: So soll das Training mit Software-basierten Schießsimulatoren zu einer erhöhten visuellen Aufmerksamkeit führen. Neurowissenschaftlichen Forschungen zufolge können auch bisherige Nichtspieler nach kürzester Zeit problemlos mehrere Objekte gleichzeitig auf dem Bildschirm wahrnehmen.[31] Diese Fähigkeiten sind für Soldaten und ihre Funktion im Kampfgeschehen von großer Bedeutung, daher sind auch solche Forschungsergebnisse für das Militär von großem Interesse.[32] Ganz praktisch geht es natürlich darum, Soldaten kostensparend – etwa mit dem „SAGITTARIUS Evolution“ von „Thales“ – das genauere Schießen auf Personen oder die Bedienung von Waffensystemen – etwa mit dem „ViSTIS“-Simulator von „ThyssenKrupp Marine Systems“ – beizubringen. Es liegt nicht in „Cryteks“ Hand, in welche Einsätze die mithilfe der „CryEngine“ ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten geschickt werden. Dass es auch Einsätze sind, die etwa völkerrechtswidrig sind – beispielsweise Einsätze der US-Army –, nimmt das Unternehmen aus Frankfurt insofern bewusst in Kauf. Natürlich weiß „Crytek“, an welche Streitkräfte ihre Software letztlich durch die Rüstungsfirmen, die sie in ihre Simulatoren einbauen, ausgeliefert wird. Das Frankfurter Software-Unternehmen profitiert damit von der Ausweitung militärischer Einsätze, da dies immer auch mehr Ausbildung und Training bedeutet: „Crytek“ ist Kriegsgewinnler.
Michael Schulze von Glaßer, 22. April 2017
Michael Schulze von Glaßer (*1986) ist Politikwissenschaftler (M.A.), stellvertretender politischer Geschäftsführer der DFG-VK und Beirat der „Informationsstelle Militarisierung e.V.“. Bis 2015 betrieb er den YouTube-Kanal „Games and Politics“ und veröffentlichte 2014 das Buch „Das virtuelle Schlachtfeld – Videospiele, Militär und Rüstungsindustrie“. Mehr Informationen: www.schulze-von-glasser.eu
Fußnoten:
[1] N. N.: Crysis 3, in: www.vgchartz.com.
[2] N. N.: Crysis 2, in: www.vgchartz.com.
[3] Fröhlich, Petra: Crytek schließt fünf Studios und gibt Publishing auf, in: www.gameswirtschaft.de, 20. Dezember 2016.
[4] Fritsch, Manuel: Robinson: The Journey Test (PC) – Der Dino-Planet im Wohnzimmer, in: www.gamestar.de, 10. Februar 2017.
[5] N. N.: Features, in: www.mycryengine.com.
[6] N. N.: Alle Gewinner 2011, in: www.deutscher-entwicklerpreis.de.
[7] N. N.: Partners – Disclosed Serious Games Licensees, in: www.mycryengine.com – letzter Zugriff am 20. Dezember 2011.
[8] Schulze von Glaßer, Michael: G’n’P #37 – OculusVR, Crytek, Bohemia Interactive: Videospiel-Unternehmen auf Rüstungsmesse, in: www.youtube.com, 27. Mai 2014.
[9] N. N.: Meggitt Training Systems Unveils Enhanced Virtual Training System in Europe, in: www.finanznachrichten.de, 19. April 2016.
[10] N. N.: FATS® M100 SIMULATION SYSTEM, in: www.meggitttrainingsystems.com.
[11] N. N.: Military training solutions, in:
[12] Gieselmann, Hartmut: US-Armee nutzt CryEngine 3 für Militär-Simulation, in: www.heise.de, 29. Mai 2011.
[13] Yerli, Avni/Yerli, Cevat/Yerli, Faruk: Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2014, Lagebericht für das Geschäftsjahr 2014 der Crytek GmbH, Frankfurt am Main, in: www.bundesanzeiger.de, 30. März 2016.
[14] N. N.: CryEngine 3: Realtime Immersive zeigt zwei Trailer von Militärsimulationen, in: www.pcgameshardware.de, 9. Dezember 2012.
[15] N. N.: CryEngine licensed for U.S. Army Dismounted Soldier Training System, in: www.rt-immersive.com.
[16] Schuppert, Markus: ViSTIS – Revolutionäres Team-Training für komplexe Systeme, in: ThyssenKrupp techforum Ausgabe 1/2011, Seite 73.
[18] Schulze von Glaßer, Michael: Die Verbindungen zwischen der Videospielbranche, dem Militär und der Rüstungsindustrie, in: www.imi-online.de, 15. Oktober 2015.
[19] Schulze von Glaßer, Michael: G’n’P #37 – OculusVR, Crytek, Bohemia Interactive: Videospiel-Unternehmen auf Rüstungsmesse, in: www.youtube.com, 27. Mai 2014.
[20] N. N.: ViSTIS/Simulationsbasierte Ausbildung, in: www.thyssenkrupp-marinesystems.com.
[21] N. N.: Schiffstechnik, in: www.thyssenkrupp-marinesystems.com.
[22] Knickmeier, Michael: Weiterentwicklung der AGSHP – Rückblick – Gegenwart – Ausblick, in: Strategie & Technik, Oktober 2011.
[23] Ebenda.
[24] Marx, Pitt: Thales präsentiert mit SAGGITARIUS-Evolution neue umfassende Schießsimulatorgeneration, in: www.thalesgroup.com, 12. April 2011.
[25] Schulze von Glaßer, Michael: Vom Videospiel zum Schießsimulator, in: www.telepolis.de, 9. April 2012.
[26] Niedoba, Oliver: Realistische Gefechtsszenarien statt verpixelter 2D-Grafik: Der Schießsimulator SAGITTARIUS-Evolution, in: www.radio-andernach.bundeswehr.de, 30. April 2013.
[27] N. N.: Mobiles System von Sagittarius Evolution an KSK übergeben, in: www.thalesgroup.com, 15. Januar 2016.
[28] Schulze von Glaßer, Michael: Spiel? Serious Game? Militärsimulator!, in: WASD – Texte über Games 2/2012.
[29] N. N.: Programmheft – Workshop 2012 „Effiziente Modellbildung und Simulation durch neue Werkzeuge“, in: www.unibw.de – letzter Zugriff am 3. April 2012.
[30] Yerli, Avni/Yerli, Cevat/Yerli, Faruk: Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2014, Lagebericht für das Geschäftsjahr 2014 der Crytek GmbH, Frankfurt am Main, in: www.bundesanzeiger.de, 30. März 2016.
[31] Green, C. Shawn/Bavelier, Daphne: Action video game modifies visual selective attention, in: Nature – International weekly journal of science, Band 423. 2003, S. 534 – 537.
[32] Tawalbeh, Yasmin: Zivile Landschaften aus Krieg und Unterhaltung – Eine Betrachtung am Beispiel des Computerspiels „America’s Army“, Saarbrücken 2008, S. 10f.
Fotos/Bilder: Crysis 3 – Crytek; FATS 100 – Meggitt; Thales-Mitarbeiter – DFG-VK; Saggitarius-Evolution – Thales; Crytek-Website-Screenshot – DFG-VK